Wenn Risse Geschichten erzählen. Zwischen Perfektion und Akzeptanz

Vor einigen Tagen stand ich zufrieden vor einem neuen Kunstwerk welches gerade fertig geworden ist. Die Farben harmonieren, die Komposition wirkt genau richtig und insgesamt hatte es genau die Ausstrahlung, die ich mir während des Schaffensprozesses erhofft hatte. Doch einige Tage später, als ich es nach der Trocknung erneut betrachtete, fiel mir sofort etwas auf: Es hatten sich Risse in der Oberfläche gebildet.

Wahrscheinlich führte ein falsche Mischung zwischen Farbe und Medium dazu. Eine zu schnelle Trocknung oder gar Hitze, welche zu einer Oberflächenspannung führte, kann ich ausschließen.

Das Bild hat die Größe 120 x 80 cm. Vom Aufbau des Werkes her, ist die Basis, also der Hintergund, eine Schattierung von Schwarz und Graphit. Ungefähr eine diagonale Hälfte der Fläche nimmt eine Grün-Orange Farbschüttung ein. Die andere Hälfte wurde gefüllt mit expressionistischen und mit großen Pinseln ausgeführte energetische Bewegungen.

Der erste Eindruck

Im ersten Moment nach der Trocknung des Bildes war ich enttäuscht. Als ich die feinen Risse in der Oberfläche sah, war mein erster Gedanke:

„Das ist ein Fehler. Das Bild ist ruiniert.“

Ich wollte es sofort übermalen, weil es nicht mehr perfekt war. Im Vorfeld hatte ich zwar keine klare Vorstellung oder Skizze wie das fertige Werk aussehen sollte – aber die Risse passten nicht in meine Erwartungshaltung.

Ich fragte mich, ob die Risse das Gesamtbild zerstören oder ob sie sich vielleicht sogar irgendwie in die Gestaltung einfügen könnten. Doch meine erste Reaktion war für mich klar: So konnte ich das Bild nicht lassen und auch nicht zum Kauf anbieten.

Ein neuer Blickwinkel

Doch anstatt sofort Farbe und Pinsel in die Hand zu nehmen, ließ ich das Bild ein paar Tage im Atelier stehen. Mit der bemalten Fläche zur Wand, außerhalb meines Sichtfeldes. Ich wollte es erstmal nicht mehr sehen. Dann einige Tage später, warf ich immer mal wieder einen Blick darauf, mal aus der Nähe, mal aus der Distanz. Nach und nach begann ich, es anders zu sehen. Die Risse störten mich nicht mehr – im Gegenteil, sie gaben dem Bild Charakter. Sie erzählten eine eigene Geschichte, machten das Werk spannender und einzigartiger.

Das brachte mich zum Nachdenken: Muss Kunst perfekt sein? Was ist das überhaupt, das „Perfekte“, wer gibt das vor? Oder sind es oft gerade die unerwarteten Details, die ein Werk lebendig machen? Oft strebt man auch im Leben nach Perfektion. Diese Risse waren nicht geplant, aber sie verliehen dem Bild eine Tiefe, die ich vorher nicht beabsichtigt hatte. Sie machen es in einer besonderen Weise lebendiger.

Die Entscheidung. Sollte ich das Kunstwerk übermalen oder so lassen?

Nun stehe ich vor einer Entscheidung: Lasse ich es so, wie es ist?

✔️ Übermale ich es und starte neu?
✔️ Lasse ich es so, weil es seinen eigenen Charme hat?
✔️ Gebe ich es genau so weiter, unperfekt, aber authentisch?

Akzeptiere ich die Risse als Teil des Werkes und sehe sie als künstlerisches Element? Oder übermale ich es und gebe der Leinwand eine neue Chance? Vielleicht entscheide ich mich auch, es genau so weiterzugeben – unperfekt, aber mit Charakter.

Diese Situation erinnert mich daran, dass Kunst nicht immer nach Plan verläuft. Und für sich genommen, gehört genau diese Unvorhersehbarkeit zu meiner Art Kunst zu machen dazu – der Zufall ist ein stetiger Begleiter. Manchmal entstehen die spannendsten Werke gerade dann, wenn etwas Unerwartetes passiert. Vielleicht ist es an der Zeit, Perfektion ein Stück loszulassen und das Ungeplante zu umarmen.

Egal, wie ich mich entscheiden würde – dieses Bild hat mir eine wertvolle Lektion mitgegeben.

Letztlich bin ich zu dem Entschluss gekommen, das Werk auch so in das Werkverzeichnis aufzunehmen und damit auch für den Verkauf freizugeben. Schließlich hat es sich so ergeben und die ganzen Gedanken die ich mir um die Risse machte – irgendwas hat das Kunstwerk ja an sich. Und damit gehört es zu mir und meinem Gesamtwerk dazu.

Ich bereite das Bild nun für die Aufnahme in das Werkverzeichnis und Shop vor: Titelvergabe, Signierung und Einlagerung. Es kommt dann in den nächsten Tagen in den Online-Shop.

Fotos vom Werk & Details

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert